Institut für Erziehungswissenschaft

Wissens- und Deutungsmuster der Implementeure des Programms Sozialraumorientierung in der nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendhilfe

Kurzdarstellung des Forschungsprojekts

Eine vorbeugende Sozialpolitik sucht durch vorherige bzw. rechtzeitige Interventionen die Entstehung und Verstetigung sozialer Problemlagen zu verhindern. Seit einigen Jahren etabliert sich in diesem Kontext das Programm der Sozialraumorientierung mit dem Versprechen eine solche vorbeugende Sozialpolitik, nicht zuletzt im Bereich der personenbezogenen sozialen Dienstleistungen, zur Umsetzung zu verhelfen.

Der Etablierungserfolg des Programms der Sozialraumorientierung erklärt sich aus der Verkopplung des damit verbundenen Präventions- mit einem umfassenden Innovationsversprechen: Sozialraumorientierung soll ein effektives und effizientes vorbeugendes Vorgehen bei fachlicher Innovation in der Leistungserbringung und deren Organisation erbringen. Sozialpädagogisch/sozialarbeiterisch wird dazu eine Aktivierung kleinräumiger Gemeinschaften (z.B. Nachbarschaften oder Quartiere) angestrebt, sozialadministrativ eine Dezentralisierung der Erbringungsstrukturen (z.B. Aufbau von Sozialraumteams) und stadtplanerisch eine erhöhte Partizipation der Bewohner_innen (z.B. Bürgerbeteiligung im Stadtplanungsprozess). Die nahräumliche Einbindung der Nutzer_innen in ihr Lebensumfeld und die kleinräumige Ausrichtung der Erbringungsstrukturen soll so die gesellschaftliche Integration der Nutzer_innen bereits im Vorfeld einer andernfalls notwendigen, aufwändigen Hilfeleistung gewährleisten (Hilfen zur Erziehung), was somit eine fiskalische Entlastung auf kommunaler Ebene zur Folge habe.

Die Omnipotenz des Präventionsversprechens wirft nicht nur Fragen in Bezug auf die Möglichkeit auf, ob diese eingehalten werden können, sondern birgt auch die Gefahren einer fachlich-konzeptionellen Unschärfe im Sinne der notwendigen Passung (mismatch) der Programminhalte mit den jeweiligen Erbringungssettings (Kommune, Stadtteil, Quartier).

Vor diesem Hintergrund nimmt das Projekt die Wissens- und Deutungsmuster der relevanten Implementeure des Programms »Sozialraumorientierung« am Beispiel der nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendhilfe systematisch in den Blick. Dazu werden praxisrelevante Wissensbestände zur Sozialraumorientierung von Leitungs- und Fachkräften in der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe (Experteninterviews und focusgroups) rekonstruiert. Diese Wissensmuster werden mit denen von programmverantwortlichen Akteur_innen auf der Landesebene kontrastiert (Experteninterviews). Das Forschungsprojekt wirft so einen Blick auf die empirische Wirklichkeit der Etablierung des Programms der Sozialraumorientierung und analysiert dabei die fachlich-konzeptionellen Vorstellungen, die innerhalb der konkreten Prozesse kommunaler Reorganisation und fachlicher Neuausrichtung in der nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendhilfe vorzufinden sind. Dazu setzt das Projekt an einem bestimmten Punkt der Implementation des Programms Sozialraumorientierung an: Es fokussiert den Aspekt der Konkretisierung der Programmziele auf der Ebene des Bundeslandes in supra-kommunalen Landesprogrammen und auf der Ebene der Übersetzung in kommunale Strategien und Perspektiven. Die konkrete Umsetzung des Programms Sozialraumorientierung in die alltägliche organisationale Praxis steht somit nicht im Fokus des Forschungsprojektes.

Um die Disseminaton der gewonnenen Einsichten zu gewährleisten, arbeitet das Projekt eng mit den beteiligten Kommunen zusammen. Diese Kooperation wird sich in zwei Transferworkshops verdichten, an denen einschlägige Sachverständige aus dem bundesdeutschen, dem österreichischen und dem Schweizer Kontext als ModeratorInnen beteiligt sein werden, sowie weitere Kommunen zur Teilnahme eingeladen sind.

Forschungsbezogene Publikationen

Dirks, Sebastian/Fritsche, Caroline/Lippelt, Maike/Reutlinger, Christian (2016): Zur pädagogischen Herstellung städtischer Räume zwischen Ort und Klient*in. In: Zeitschrift für Pädagogik, 62. Jg., Heft 1., S. 20–33.

Dirks, Sebastian/Kessl, Fabian/Lippelt, Maike/Wienand, Carmen (2016): Urbane Raum(re)produktion - Soziale Arbeit macht Stadt. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Kessl, Fabian/Landhäußer, Sandra/Ziegler Holger (2006): Sozialraum. In: Bernd Dollinger & Jürgen Raithel (Hrsg.): Aktivierende Sozialpädagogik. Wiesbaden: SpringerVS, S. 191–216.

Kessl, Fabian/Otto, Hans-Uwe (2007) (Hrsg.): Territorialisierungdes Sozialen. Regieren über soziale Nahräume. Opladen/FarmingtonHills: Barbara Budrich.

Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2010): Sozialraum. Eine Einführung (2. Aufl.). Wiesbaden: SpringerVS.

Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2016/i.E.): Sozialraumorientierung. In: Karin Böllert (hrsg.): Kompendium Kinder-und Jugendhilfe. Wiesbaden: Springer.

Förderung

Finanziert durch das FGW des Landes Nordrhein-Westfalen.

Team

Projektleitung

Prof. Dr. Fabian Kessl (Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik, Universität Duisburg-Essen)

Projektmitarbeiter*innen

  • Dipl.-Päd. Sebastian Dirks
  • stud. MA/in Hannah Obert

Weitere Infos über #UniWuppertal: