Historische Kontextualisierungen
Nach dem zweiten Weltkrieg und mit der Gründung der BRD waren die Bemühungen, die deutsche Gesellschaft zu demokratisieren, besonders auf das Schulsystem ausgerichtet. Versuchten die Alliierten auch ihre eigenen Bildungssysteme in Deutschland zu etablieren, so setzte sich das dreigliedrige Schulsystem trotz seines selektiven Charakters durch.[1] Spätestens mit der Studentenbewegung der 60er Jahre musste sich die Politik mit der Chancenungleichheit, die dieses System verursachte und die im Widerspruch zum Ideal einer demokratischen Gesellschaft stand, auseinandersetzen (siehe dazu besonders die Kritik von R. Dahrendorf und G. Picht).[2] Die Gesamtschule schien als wissenschaftlich begleiteter Modellversuch eine Möglichkeit, das Bildungssystem zu reformieren.[3] Auch wenn die Gesamtschulen weiterhin bestehen, kann die mit ihnen beabsichtigte grundlegende Reform des deutschen Bildungssystems als gescheitert betrachtet werden.[4] Spätestens mit den seit dem Jahre 2000 durchgeführten PISA Studien wird deutlich, dass die Chancenungleichheit im Bildungssystem noch nicht beseitigt wurde.
In bildungshistorischer Perspektive ermöglicht die Entwicklung des Gymnasiums und der Gesamtschule Einblicke in Prozesse der Bildungspolitik, der Schulentwicklung und –reform, wie auch des konkreten Schulalltags und Unterrichtsgeschehens zu gewinnen. In der Auseinandersetzung mit der Schulgeschichte der letzten 60 Jahre können aktuelle Entwicklungen des Schulsystems in ihrer Dynamik präziser begriffen und die darin implizierte pädagogische Handlung reflektiert werden.
Ist die Schulgeschichte der BRD grundsätzlich differenziert analysiert worden, so sind doch die regionalen Entwicklungen um Wuppertal auf Quellenbasis kaum erforscht.[5] Einzig die Schulen selbst haben vereinzelt Schulchroniken[6] anlässlich von Jahresfeiern erstellt. Die Erforschung, Bewahrung und Vermittlung der regionalen Schulentwicklung wurde bisher in erster Linie von besonders engagierten LehrerInnen an den jeweiligen Schulen oder Interessierten geleistet, wissenschaftlich aber kaum untersucht.[7] Diese Forschungslücke bietet für die Studierenden des Master of Education an der BUW eine ausgezeichnete Möglichkeit, unter Berücksichtigung der bundesweiten bildungsgeschichtlichen Entwicklung selbst bisher unerforschte Quellen auszuwerten und damit einen wichtigen Beitrag zur Analyse der lokalen und regionalen Bildungsgeschichte zu leisten.
Lehrerbildung als fachliche, bildungswissenschaftliche, pädagogische Qualifikation
Die lokale und quellenbasierte Erforschung sowie Vermittlung von Schulgeschichte am Beispiel einzelner regionaler Schulen vertieft die Kenntnisse der Studierenden bezüglich des Bildungswesens und dessen historischer Entwicklung unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und reformpolitischer Aspekte. Durch die im Projekt vorgesehene enge Verbindung von Forschung und Vermittlung wird beabsichtigt, einen Beitrag zu einer erhöhten Kohärenz zwischen Fachwissenschaften (Geschichte, Erziehungswissenschaft, Sozialwissenschaften), Fachdidaktik (Unterrichtskonzepten, Ausstellung) und Bildungswissenschaften (Schulentwicklung im Kontext erziehungswissenschaftlicher Forschung) zu leisten.
[1] Führ 1998: 10f.
[2] Geißler 2011: 825
[3] Wenzler 2003: 71f.
[4] Furck 1998: 252f.
[5] Dies bestätigen auch die Archivare der lokalen Stadtarchive.
[6] Wie etwa die Schulchronik des Gymnasiums Am Kothen im Jahre 2005
[7] So gibt der kleine Band von Han-Jürgen Momberger in erster Linie einen tabellarischen, mit zahlreichen Fotos versehen, Überblick über die Entwicklung des Gymnasiums in Vohwinkel (Momberger 2012). Die ausführliche Zusammenstellung verschiedenster schulgeschichtlicher Themen von Elke Brychta zum Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium zeigt, welch reicher Archivbestand zur Wuppertaler Bildungslandschaft vorhanden ist, der viele Anregungen für kleinere Forschungsarbeiten gibt: z.B. die Grünen Blätter des Freundesvereins (Brychta 2004: 48ff.) oder die Jahresberichte des Gymnasiums, die im Wuppertaler Stadtarchiv zu finden sind.