Alternative Formen der Armutsbekämpfung
Kurzdarstellung des Forschungsprojekts
Alternative Formen der Armutsbekämpfung: die neue Mitleidsökonomie. Bestandsaufnahme und Exploration
Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts lässt sich im deutschsprachigen Raum die Entstehung eines neuen Systems der Armutsbekämpfung beobachten: Neben dem Ausbau bestehender Kleiderkammern und Suppenküchen, wie sie in kleinen Segmenten des bisherigen Wohlfahrtsstaats zum Beispiel als Angebote im Bereich der aufsuchenden Sozialen Arbeit, der Obdachlosenhilfe oder auch im caritativehrenamtlichen Bereich schon bekannt sind, entstehen in den vergangenen Jahren in großer Zahl neue Angebote. Symbolisch für diese Entwicklung steht die massiv angewachsene Zahl so genannter „Tafeln“, die in einem eigenen Bundesverband („Deutsche Tafel e.V.“) zusammengeschlossen sind. Seit dessen Gründung hat die Zahl von Mitgliedsorganisationen lokaler Einrichtungen kontinuierlich zugenommen. Für das Jahr 2010 wird von nahezu 900 lokalen Tafeln berichtet, davon allein 159 im größten Bundesland, in Nordrhein Westfalen. Es wird davon ausgegangen, dass mindestens 1,3 Millionen Menschen die Tafel Einrichtungen regelmäßig aufsuchen.
Die Einrichtungen funktionieren nach demselben einfachen Grundprinzip: Die „Tafeln“ sammeln private Spenden, unverkäufliche Lebensmittel im Einzel-und Großhandel und gebrauchte Waren und verteilen sie über ehrenamtliche bzw. gering bezahlte Arbeitskräfte, zum Teil zu einem symbolischen Betrag zum Teil kostenlos, in lokalen Ausgabestellen an Bedürftige. Eine Grundlage dieser Form der neuen Armutshilfe ist die Organisierung von Spenden und einer entsprechenden Spendenbereitschaft bei Unternehmen wie der Bevölkerung. Die Grundannahme des Forschungsprojektes lautet, dass es sich bei diesen Angeboten nicht um punktuelle und zeitlich begrenzte Notfallhilfen handelt, sondern hier die Etablierung eines stabilen neuen Systems der Armutsbekämpfung, neben dem wohlfahrtsstaatlichen System der kommunalen Sozialpolitik, zu beobachten ist. Obwohl dieses neue System der „Mitleidsökonomie“ ein rasantes Wachstum hinter sich und die öffentliche Wahrnehmung von Armut bereits heute verändert hat, ist die Frage, welches Potenzial der Armutsbekämpfung damit ausgeschöpft werden kann, bisher unbeantwortet.
Für eine angemessene Beantwortung dieser Frage ist die Gestalt der mitleidsökonomischen Angebote systematisch zu erfassen, und auf dieser Basis deren Praxis der Armutsbekämpfung zu untersuchen. Im Forschungsprojekt wird daher eine repräsentative Untersuchung der Nutzungs- und Organisationsstrukturen bundesdeutscher Angebote und ihrer sozialpolitischen Verortung vorbereitet. Diese Erhebung wird um vier explorative Fallstudien in zwei Ruhrgebietsstädten ergänzt.
Mediale Reaktionen
- "Beim ersten Mal hab ich geheult": Bericht von Stephan Hermsen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) vom 20. Oktober 2013
- "Ein zivilisatorischer Rückschritt": Interview mit der WAZ am 22. Oktober 2013
- "Mitleidsökonomie": Feature von Christine Werner im Südwestdeutschen Rundfunk SWR 2) vom 13. Mai 2015 [Link zum Manuskript der Sendung]
Forschungsbezogene Publikationen
Groenemeyer, Axel; Kessl, Fabian (2013): Die "neue Almosenökonomie"- ein neues System der Armutshilfe? In: Karin Böllert, Nicole Alfert und Marc Humme (Hg.): Soziale Arbeit in der Krise. Pädagogisches Krisengebiet? Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 17–34.
Fabian Kessl, Melanie Oechler, Tina Schröder (2014): Die „neue Mitleidsökonomie“ – zur kategorialen Bestimmung neuer Formen der Armutslinderung. Erscheint in: Bareis, Ellen/Wagner, Thomas (Hrsg.): Politik mit der Armut. Widersprüche und Ausblendungen. Wiesbaden: SpringerVS
Projektgruppe 'Neue Mitleidsökonomie' (2016/i.E.): Die neue Mitleidsökonomie. Armutsbekämpfung jenseits des Wohlfahrtsstaats? Bielefeld: transcript
Melanie Oechler/ Tina Schröder: Die Neue Mitleidsökonomie – Armutsbekämpfung jenseits des Sozialstaates? Befunde zu Organisations- und Nutzungsstrukturen spendenbasierter Angebote. erscheint in: Neue Praxis, 45. Jg., 2015
Kooperationen
Projektleitung
Prof. Dr. Fabian Kessl (Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik, Universität Duisburg-Essen)
Prof. Dr. Axel Groenemeyer (Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit, Technische Universität Dortmund)
ProjektmitarbeiterInnen
Dr. Melanie Oechler
Tina Schröder, M.A. Soziologie und Sozialforschung
Jennifer Eckhardt, B.A. Rehabilitationspädagogik
Rene Delveaux, B.A. Sozialarbeit / Sozialpädagogik
Mara Ittner, B.A. Sozialarbeit / Sozialpädagogik
Marie Schellwat, Dipl.-Sozialarbeiterin